Thursday, 24 January 2013

Vom Zauberlehrling David Cameron

Wir haben nun beide ziemlich lange auf diese Rede gewartet. Der britische Premier hat also versproche, dass Großbritannien bis spätestens November 2018 über dn Verbleid in der EU abstimmen wird. Das ist in mehr als fünf Jahren. Was hat Europas Presse dazu zu sagen? Spiegel Onlines Schlagzeile, „Allein gegen Alle“ offenbart offensichtliche Kritik an Camerons Rede. In einem anderen Artikel der gleichen Seite, wird argumentiert dass Großbritannien schon lange kein richtiges Mitglied der EU mehr ist, da es weder beim Euro, noch bei Schengen, ESM, EFSF oder der Bankenunion mitmacht, obwohl diese Bereiche den Kern der europäischen Integration bilden. Die FAZ zeigt auf, dass kein Mitgliedsstaat pro Kopf weniger zum EU-Budget beiträgt als Großbritannien. Die französische Le Monde nennt Cameron den Drahtseilläufer Europas, und verweist damit ebenfalls auf die offensichtlichen Risiken die Cameron mit seiner Politik eingeht. Auch der Guardian stimmt auf den kritischen Chor ein, und befürchtet, dass Cameron sein „Glücksspiel noch bedauern wird.“ Dann gibt es natürlich die übliche Anti-EU-Propaganda der britischen Boulevardpresse. Die Daily Express gibt hier den Ton an, indem sie Camerons Rede als historisch bezeichnet. Die Zeitung kämpfte lange für eine Volksabstimmung über die britischen Beziehungen zu Europa. Unser Eindruck, dass die britische Europaskepsis auf schlechte Presse zurückzuführen ist, wurde wieder einmal bestätigt, denn der Rest Europas scheint den Blödsinn eines EU-Austrittes zu begreifen.

In Großbritannien gibt es erhebliche
Missverständnisse über die EU
Was uns besonders wütend macht, sind bestimmt Abschnitte von Camerons Rede. Im Prinzip, gehören wir zu jenen die eine Radikalreform der EU-Institutionen durchaus befürworten würden. Allerdings verkommt die EU zur Bedeutungslosigkeit, wenn die Mitgliedsstaaten ein Rosinenpicken beginnen. Entweder ganz oder gar nicht. Die Naivität anzunehmen, dass Großbritannien seine Rolle in der EU auf die Vorteile beschränken kann, die mit einer Mitgliedschaft im europäischen Binnenmarkt verbunden sind, ist schon bemerkenswert, und beschwört unweigerlich Konflikte mit den anderen 26 Mitgliedsstaaten herauf, die sich auf eine britischen Bestechungspolitik wohl kaum einlassen werden. Martin Schulz verglich Cameron vor Kurzem mit dem bekannten Zauberlehrling, der die Kontrolle über die von ihm heraufbeschworenen Mächte verliert. „Die ich rief, die Geister, / Werd ich nun nicht los,“ spricht der Zauberlehrling in Goethes berühmten Gedicht. Genauso könnte es auch Cameron ergehen, wenn seine Strategie nach hinten losgeht. Was Europa bei einem britischen EU-Austritt ganz sicher loswerden würde, sind inkompetente Politiker wir David Cameron, der weit unterschätz, welchen Wert die EU-Mitgliedschaft für eine europäische Wirtschaft darstellt, und der die tieferen Probleme die dadurch ausgelöst würden vernebelt. Was würde denn passieren, wir Joschka Fischer heute früh feststellte, wenn die japanischen Autobauer die in England produzieren ihren Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlören? Cameron riskiert auch noch die letzten Bastionen des Produktionsstandortes Großbritannien für ein populistisches Wahlmanöver aufzugeben, und das Land völlig der Müllfabrik der Finanzindustrie zu überlassen. Das britische Volk muss verstehen, dass die EU auch das Produkt britischer Politik ist, und jede Richtlinie wurde auch von britischen Regierungen auf den Weg gebracht. Die Aussage, dass die EU nicht vom britischen Volk legitimiert ist, bedeutet im Grunde, dass die britischen Regierungen nicht demokratisch gewählt wurden.

Weiß der Mann was er tut?
Im Prinzip haben wir nichts gegen eine Volksabstimmung, doch es muss auch die Option geben für den Euro zu stimmen, für Schengen, und für all die anderen Errungenschaften die Europa heute ausmachen. Die britische EU-Mitgliedschaft auf den Binnenmarkt zu beschränken, ist lächerlich, denn dann muss der Rest Europas bezahlen, damit Großbritannien die Früchte ernten kann. Wenn Großbritannien so egoistisch ist, sollte es die EU verlassen. Entweder das Land geht mit, oder es geht aus dem Weg.

Bei einer Sache geben wir Cameron Recht: Europa bewegt sich. Die Aussicht auf eine Volksabstimmung wird schottische Unabhängigkeitsbestrebungen stärken, denn wenn Schottland ein Teil des Vereinigten Königreichs bleibt, könnte England die europafreundlicheren Schotten aus der EU wählen. Walisischer Nationalismus könnte auf die gleiche Weise befeuert werden. Wir glaubenn, Cameron hat keine Ahnung, was er tut.

Was nun? Fünf Jahre sind viel Zeit. Regierungen werden neu gewählt, Minister kommen und gehen, und die EU wird sicher nicht mehr dieselbe sein. Wir wären nicht überrascht, wenn sich die öffentliche Meinung bis dahin ändert, und Europa wieder populärer wird. Das Propagandatuch der Briten und der angeblichen ‚Inselmentalität‘ ist doch reichlich dünn, und die Einsicht, dass eine ‚Finanzindustrie‘ nicht die Grundlage einer Volkswirtschaft darstellen kann, führt vielleicht doch noch zu Metanoia. Vielleicht ergeht es Großbritannien wie unserem Zauberlehrling:

„Und sie laufen! Nass und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

     In die Ecke,
     Besen! Besen!
     Seids gewesen!
     Denn als Geister
     Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
     Erst hervor der alte Meister.“


Alexandra Athanasopoulou & Harald Köpping

1 comment:

  1. sehr schöner artikel, danke! bin grade in brüssel und habe nach der Rede Camerons die Stimmung umschlagen sehen, vorher war man noch sehr vorsichtig mit urteilen über UK, jetzt sagen die meisten: cameron hat sich selber in den fuß geschossen. und: ja, wir wollen england dabei haben, aber im endeffekt brauchen die und mehr als wir die... trotzdem glaube ich aber, dass camerons rede vielleicht doch einen guten effekt hatte, sie zeigt, dass diskussionen über die EU und wie man sie haben will möglich sind. Wer weiß, vielleicht befeuert es ja auch ein paar konstruktive debatten!
    viele grüße
    frollein europa

    ReplyDelete