Wir haben nun beide ziemlich lange auf diese Rede
gewartet. Der britische Premier hat also versproche, dass Großbritannien bis
spätestens November 2018 über dn Verbleid in der EU abstimmen wird. Das ist in
mehr als fünf Jahren. Was hat Europas Presse dazu zu sagen? Spiegel Onlines Schlagzeile, „Allein
gegen Alle“ offenbart offensichtliche Kritik an Camerons Rede. In einem anderen
Artikel der gleichen Seite, wird argumentiert dass Großbritannien schon lange
kein richtiges Mitglied der EU mehr ist, da es weder beim Euro, noch bei
Schengen, ESM, EFSF oder der Bankenunion mitmacht, obwohl diese Bereiche den
Kern der europäischen Integration bilden. Die FAZ zeigt auf, dass kein Mitgliedsstaat pro Kopf weniger zum
EU-Budget beiträgt als Großbritannien. Die französische Le Monde nennt Cameron den Drahtseilläufer Europas, und verweist
damit ebenfalls auf die offensichtlichen Risiken die Cameron mit seiner Politik
eingeht. Auch der Guardian stimmt auf
den kritischen Chor ein, und befürchtet, dass Cameron sein „Glücksspiel noch
bedauern wird.“ Dann gibt es natürlich die übliche Anti-EU-Propaganda der
britischen Boulevardpresse. Die Daily
Express gibt hier den Ton an, indem sie Camerons Rede als historisch
bezeichnet. Die Zeitung kämpfte lange für eine Volksabstimmung über die
britischen Beziehungen zu Europa. Unser Eindruck, dass die britische
Europaskepsis auf schlechte Presse zurückzuführen ist, wurde wieder einmal
bestätigt, denn der Rest Europas scheint den Blödsinn eines EU-Austrittes zu
begreifen.
In Großbritannien gibt es erhebliche Missverständnisse über die EU |
Was uns besonders wütend macht, sind bestimmt
Abschnitte von Camerons Rede. Im Prinzip, gehören wir zu jenen die eine
Radikalreform der EU-Institutionen durchaus befürworten würden. Allerdings
verkommt die EU zur Bedeutungslosigkeit, wenn die Mitgliedsstaaten ein
Rosinenpicken beginnen. Entweder ganz oder gar nicht. Die Naivität anzunehmen,
dass Großbritannien seine Rolle in der EU auf die Vorteile beschränken kann,
die mit einer Mitgliedschaft im europäischen Binnenmarkt verbunden sind, ist
schon bemerkenswert, und beschwört unweigerlich Konflikte mit den anderen 26
Mitgliedsstaaten herauf, die sich auf eine britischen Bestechungspolitik wohl
kaum einlassen werden. Martin Schulz verglich Cameron vor Kurzem mit dem
bekannten Zauberlehrling, der die Kontrolle über die von ihm heraufbeschworenen
Mächte verliert. „Die ich rief, die Geister, / Werd ich nun nicht los,“ spricht
der Zauberlehrling in Goethes berühmten Gedicht. Genauso könnte es auch Cameron
ergehen, wenn seine Strategie nach hinten losgeht. Was Europa bei einem
britischen EU-Austritt ganz sicher loswerden würde, sind inkompetente Politiker
wir David Cameron, der weit unterschätz, welchen Wert die EU-Mitgliedschaft für
eine europäische Wirtschaft darstellt, und der die tieferen Probleme die
dadurch ausgelöst würden vernebelt. Was würde denn passieren, wir Joschka
Fischer heute früh feststellte, wenn die japanischen Autobauer die in England
produzieren ihren Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlören? Cameron
riskiert auch noch die letzten Bastionen des Produktionsstandortes
Großbritannien für ein populistisches Wahlmanöver aufzugeben, und das Land
völlig der Müllfabrik der Finanzindustrie zu überlassen. Das britische Volk
muss verstehen, dass die EU auch das Produkt britischer Politik ist, und jede
Richtlinie wurde auch von britischen Regierungen auf den Weg gebracht. Die
Aussage, dass die EU nicht vom britischen Volk legitimiert ist, bedeutet im
Grunde, dass die britischen Regierungen nicht demokratisch gewählt wurden.
Weiß der Mann was er tut? |
Im Prinzip haben wir nichts gegen eine
Volksabstimmung, doch es muss auch die Option geben für den Euro zu stimmen,
für Schengen, und für all die anderen Errungenschaften die Europa heute
ausmachen. Die britische EU-Mitgliedschaft auf den Binnenmarkt zu beschränken,
ist lächerlich, denn dann muss der Rest Europas bezahlen, damit Großbritannien
die Früchte ernten kann. Wenn Großbritannien so egoistisch ist, sollte es die
EU verlassen. Entweder das Land geht mit, oder es geht aus dem Weg.
Bei einer Sache geben wir Cameron Recht: Europa
bewegt sich. Die Aussicht auf eine Volksabstimmung wird schottische
Unabhängigkeitsbestrebungen stärken, denn wenn Schottland ein Teil des
Vereinigten Königreichs bleibt, könnte England die europafreundlicheren
Schotten aus der EU wählen. Walisischer Nationalismus könnte auf die gleiche
Weise befeuert werden. Wir glaubenn, Cameron hat keine Ahnung, was er tut.
Was nun? Fünf Jahre sind viel Zeit. Regierungen
werden neu gewählt, Minister kommen und gehen, und die EU wird sicher nicht
mehr dieselbe sein. Wir wären nicht überrascht, wenn sich die öffentliche
Meinung bis dahin ändert, und Europa wieder populärer wird. Das Propagandatuch
der Briten und der angeblichen ‚Inselmentalität‘ ist doch reichlich dünn, und
die Einsicht, dass eine ‚Finanzindustrie‘ nicht die Grundlage einer
Volkswirtschaft darstellen kann, führt vielleicht doch noch zu Metanoia.
Vielleicht ergeht es Großbritannien wie unserem Zauberlehrling:
„Und sie laufen! Nass und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.“
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.“
Alexandra Athanasopoulou & Harald Köpping
sehr schöner artikel, danke! bin grade in brüssel und habe nach der Rede Camerons die Stimmung umschlagen sehen, vorher war man noch sehr vorsichtig mit urteilen über UK, jetzt sagen die meisten: cameron hat sich selber in den fuß geschossen. und: ja, wir wollen england dabei haben, aber im endeffekt brauchen die und mehr als wir die... trotzdem glaube ich aber, dass camerons rede vielleicht doch einen guten effekt hatte, sie zeigt, dass diskussionen über die EU und wie man sie haben will möglich sind. Wer weiß, vielleicht befeuert es ja auch ein paar konstruktive debatten!
ReplyDeleteviele grüße
frollein europa