Wow, was für
ein Tag! Das erlebt man wirklich nicht oft, dass man wohin man auch schaut
Gesichter sieht, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Gabriel,
Steinbrück, Steinmeier, Nahles, Schröder, Schmidt, Hollande, Merkel – alle waren
sie nach Leipzig gekommen, und es kam einem so vor, als wäre diese Stadt einen
Tag lang Europas politischer Mittelpunkt gewesen. Die SPD hat 150. Geburtstag
gefeiert, hier an dem Ort wo 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
gegründet wurde. Ich will nun kurz schildern was heute von Gauck, Holland und
Gabriel vorgetragen wurde, und welche Schlussfolgerungen man daraus über die
Zukunft der Partei ziehen kann.
Der Festsaal in den letzten Vorbereitungen |
Gaucks Rede
war für mich die unspektakulärste. Auf seine gewohnt ‚charismatische‘ Art und
Weise plauderte er über die Geschichte der Sozialdemokratie in Deutschland,
ging dabei besonders auf die historische Entscheidung ein, sich von den
Kommunisten abzugrenzen, ‚denn wo Kommunismus hinführt, das wissen wir ja alle.‘
Wie üblich äußerte er sich auch über die DDR, beschränkte seine Analyse aber
auf die dort stattgefundene Unterdrückung. Die Geschichte der SPD fand nur in
Westdeutschland statt, woraus für mich der Eindruck entstand, ich muss die Geschichte
eines Landes in dem ich nicht geboren bin, als meine eigene Geschichte
akzeptieren. Ich war froh als Gaucks Rede vorbei war.
Als der
französische Präsident nach dem Abklingen der Marseillaise die Bühne betrat,
war vermutlich der Höhepunkt der Veranstaltung erreicht. Hollande bezog sich
lange auf das Godesberger Programm, dass die SPD 1959 verabschiedete. Die
Partei vollzog mit diesem Programm den Wandel hin zur ‚Volkspartei‘, indem sie sich
zur sozialen Marktwirtschaft bekannte. Hollande bekräftigte, dass Reformen und
Kompromissbereitschaft nicht bedeuten, dass man keine Ideale mehr hat, sondern
dass politischer Realismus der einzige Weg ist, Fortschritte auf dem Weg zu
einer sozial gerechteren Gesellschaft zu machen. Hollande erinnerte auch in die
Völkerschlacht, und an die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich, die
Millionen junger Europäer das Leben kosteten. Die wichtigste Aufgabe der
Sozialdemokratie in Europe bestünde heute darin, die massenhafte
Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Daraufhin gab es minutenlange Beifälle
unter stehenden Ovationen. Hollande muss es gut getan haben mal wieder gejubelt
zu werden, wenn auch von einer Elite, wenn auch nicht im eigenen Land.
Peer kommt die Treppe runter |
Schließlich
stieg auch Sigmar Gabriel ans Rednerpult, verhaspelte sich kurz und nannte
Merkel die Bundespräsidentin, sagte aber dann er seie ‚seiner Zeit vorraus‘,
und brachte so den ganzen Saal zum Lachen. Gabriel rezitierte auf ein neues die
Geschichte der SPD, und hob hervor, dass die Partei in ihrer Geschichte als
einzige Partei nichts getan hat, dessen sie sich so schämt, dass die ihren
Namen hat ändern müssen. Während Merkel am Anfang noch klatschte, tat sie es
nun nicht mehr. Gabriel war sichtbar wütend darüber dass Milliarden für die
Bankenrettung ausgegeben wird, aber für die Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit nur Minipakete übrig bleiben, mit der Wirkung von ein
Paar ‚homöopathischen Dosen‘. Gabriel redete über Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, und versteht es als die Aufgabe der SPD, zukünftigen Generationen ein
gutes, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Die SPD bleibe damit ihrem
Emanzipationsideal treu.
Was bedeutet
die über die Partei? Ich frage mich, was Ferdinand Lasalle als Gründervater
wohl gedacht hätte, wäre er heute in diesen Saal gekommen. Ihm wären die vielen
Anzüge aufgefallen, die schwarzen 5er BMWs vor dem Eingang, aber auch eine
Partei, die nach wie vor zwei Gesichter besitzt. Auf der einen Seite ist da der
unterkühlte Peer Steinbrück, der zwar hochkompetent ist, einem aber manchmal so
vorkommt, als sei er selbst Interessenvertreter der Großkonzerne. Es vertritt wohl
einen Flügel der SPD mit dem ich wenig anfangen kann. Sigmar Gabriel hingegen
ist ein leidenschaftlicher Politiker, der für die alten Ideale der SPD steht.
Auch dieser, auf Gerechtigkeit besinnte Teil der Partei existiert nach wie vor,
und in ihm fühle ich mich zu Hause. Diese Kluft ist in der SPD nicht neu, und
insofern hätte Lasalle sich wohl so fremd nicht gefühlt. Allerdings denke ich
trotzdem, dass die SPD sich nur dann wieder finden kann, wenn sie eine konkrete,
von Werten, und nicht von Realismus geprägte Vision für Deutschland und das
vereinigte Europa liefern kann. Eine angepasste, marktkonforme SPD wird sich
bei Wahlen nicht durchsetzen können, und wird so weiter zur Depolitisierung
unserer Gesellschaft beitragen.
Harald Köpping
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