Friday, 14 June 2013

Irrwege der Sparpolitik Teil I: Die Fehldeutung der Krise

Vor ein paar Tagen stellte sich der französische Präsident Hollande bei einer Konferenz mit japanischen Unternehmen ans Rednerpult und verkündete lautstark: „Die Krise ist vorbei!“ Wow, das sind ja tollte Nachrichten. Leider hat die OECD gleichzeitig ihre diesjährige Wachstumsprognose für die Eurozone auf -0,6% nach unten korrigiert. Nach vier Jahren Austerität zeigen sich noch immer keine Erfolge, und ich befürchte dass die Sparpolitik Europa in einen Abgrund treibt, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Die Sparpolitik gehört nicht bloß abgeschwächt, sondern abgeschafft.

Dieser Post soll der erste von einer Reihe von Artikeln zu den Fehlern der Sparpolitik werden, und er orientiert zu einem großen Teil an einem Artikel von Robert Boyer zu diesem Thema. Einer der Hauptgründe für des unweigerliche Scheitern der Sparpolitik ist eine fehlleitete Diagnose der Krise – Europas Poltiker verschreiben Antibiotika gegen einen Virus. Eine Grundannahme der Austerität ist, dass die Krise durch unverantwortlich hohe Staatsausgaben verursacht wurde, während sie im Grunde nur ein Auswuchs des privaten Kreditbooms in den USA ist, der auch zur Finanzkrise geführt hat.

Hollande in Japan: "Die Krise ist vorbei!"
Die Deregulierung der Finanzindustrie in den 80er Jahren hat es erlaubt, dass Kredite mit geringer Bonität* abgesichert wurden, indem man sie in Kreditpaketen mit Krediten hoher Qualität vermischte. Man nahm an, dass dadurch des Ausfallrisiko dieser Kredite auf in Minimum reduziert werden könnte, was dazu führte, dass immer mehr der ärmsten Amerikaner Kredite bekommen konnten. Die Banken fühlten sich von der Verantwortung befreit, sich sorgfältig ihre Schuldner auszusuchen, und eine Immobilienblase begann zu wachsen. Der freie und unbesteuerte, weltweite Handel mit Finanzprodukten brachte diese toxischen Kreditpakete unweigerlich auch nach Europa, und als die Blase platzte, mussten die meißten EU-Mitgliedsstaaten ihre ruinierten Banken mit staatlichen Rettungspaketen unter die Arme greifen. Die Krise ist nicht das Ergebnis unverantwortlicher Haushaltspolitik, sondern eines deregulierten Finanzmarktes. Spanien hatte 2008 dank seines boomenden Immobilienmarktes sogar einen Haushaltsüberschuss.


Gründe der Deregulierung der Finanzindustrie

Die wachsende Ungleichheit in den USA
Die Geschichte der Krise beginnt unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine keynesianische Wirtschaftspolitik zu Jahrzehnten nachhaltigen und stetigen Wachstums beitrug. Bis in die später 70er Jahre stiegen sowohl die Produktivität als auch die Gehälter immer mehr an. Als dieser Trend dann in den USA ins Stocken gerat, begannen die Löhne von gering ausgebildeten Arbeitern zu stagnieren. Gleichzeitig stiegen aber die Gehälter für Fachkräfte weiter an, und es bildete sich eine Einkommensschere. Weitreichende Sozialsysteme gleichten diese Entwicklung anfangs noch aus, doch sie basierten auf der Solidität der Reichen gegenüber der Armen, und in den 80er Jahren regten sich erste Widerstände. Die staatlichen Sozialsysteme mussten immer stärker durch Kredite finanziert werden, und die Staatsverschuldung stieg massiv an. Insofern kan man öffentliche Schulden aus Versuch der Regierungen verstehen die steigende gesellschaftliche Ungleichheit auszugleichen.

Die Finanzindustrie wurde nicht nur durch die wachsende staatliche Schuldenabhängigkeit immer wichtiger, sondern auch dadurch, dass man versuchte, trotz der stagnierenden Produktion künstlich Wachstum zu erzeugen. Wirtschaftswachstum und hohe Staatsausgaben konnten nur durch Innovation in der Finanzindustrie aufrecht erhalten werden, und die Deregulierung des Finanzsektors wurde als beste Methode angesehen, dies zu erreichen – diese Deregulierung ist somit als Wurzel des Finanzkrise von 2008 anzusehen, durch die die Sparpolitik ausgelöst wurde.


Strukturelle Probleme in der Eurozone

Die Polarisierung von
Außenhandelsüberschüssen/-defiziten in Europa
Die Probleme von finanzgetriebenem Wachstum  wurden in Europa durch die Währungsunion von 1999 verschärft. Die Einführung des Euro unter strengen, anti-inflationären Regeln hat die Mitgliedsstaaten an einer künstlichen Währungsabwertung gehindert, und die Eurozone ist so konstruiert, dass es keinen organisierten Ausgleichsmechanismus für dieses Problem gibt. Es wurde einfach angenommen, dass sich durch mehr Preistransparenz die wirtschaftliche Lage in den Mitgliedsstaaten angleichen würde; die Realität jedoch sah ganz anders aus. Sogar noch vor der Bargeldeinführung 2002 begann sich die Eurozone zu teilen: da die Regierungen noch immer mit dem Versuch beschäftigt waren ihre Sozialsystem aufrecht zu erhalten, musste Geld beschafft werden, und das funktionierte nicht über eine exportanregende Währungsabwertung. Deutschland betrieb eine deflationäre Niedriglohnpolitik, die den gleichen Effekt auslöst, und die Deutschland zum Exportweltmeister machte. Andere Mitgliedsstaaten besaßen keine großen Produktionskapazitäten, und konzentierten sich stattdessen aus kreditgetriebenes Wachstum und auf ihre Finanzsektoren. Diese Länder waren 2008 dann besonders verwundbar, als die amerikanische Immobilienblase platzte.


Die Sparpolitik ist die falsche Heilmethode

Der Mythos von unverantwortlichen Staatsausgaben ist äußert oberflächlich, und bricht bei genauerem Hinschauen in sich zusammen. Wenn die Kommission ihren Diskurs und ihre Politikempfehlungen nicht fundamental ändert, wird sich Europa nicht erholen können. Die Regulierung der Finanzmärkte, und die Einrichtung eines permantenten europäischen Solidaritätsmechanismus sind von zentraler Bedeutung für die Zurückgewinnung wirtschaftlicher Stärke, und für den Erfolg des Projekts Europa. Die Sparpolitik zerstört nicht nur die Wirtschaft, sondern sie verpflanzt die wirtschaftliche Spaltung Europas in die Köpfe seiner Bürger.

Harald Köpping


* Kurz gesagt ist die Bonität die Wertigkeit eines Kredits. Je höher die Bonität, desto größer ist die Chance, dass dieser Kredit in die Bank zurückgezahlt wird.


Bitte lest auch: Boyer, R. (2012). The four fallacies of contemporary austerity policies: the lost Keynesian legacy. Cambridge Journal of Economics, 36. 283-312.

Thursday, 13 June 2013

The Latest Act of the Greek Tragedy: Public Broadcasters and European Democracy

Last Tuesday I went to see Before Midnight in the cinema. I loved the fact that it was filmed in the Southern Peloponnese, and when I come back home, I realize that ERT - the Greek television and radio broadcaster - is closed. Some times ago we were saying here in this blog that the crisis is not over despite what the head of the Greek government was saying. Once again events are proving us right.

As shocked as many other people, I immediately reacted on the spot to share my disagreement. The comment caused some of my Facebook friends to point out that I should get myself informed about the wages of the people in ERT and how ERT has been continually wasting Greek state funds. I have many feelings on this event that I will try to share here as clearly as possible. On the one side you need to understand that I am part of the Greek diaspora, being born and raised in Brussels and that I therefore have a particularly emotional attachment to ERT. I will thus argue why it is important to for Greece to have a public broadcaster.

Fired ERT employees
Today I am a 25 year old greek who has lived all her life outside Greece. However, when I go to Greece no one can tell. I speak, read and write Greek fluently and I understand all Greek cultural references. Why is that? My parents of course, we spoke Greek at home and they also insisted on the fact that my brother and I go to Greek school as kids. Like all kids we hated it, but at the end of the day I am so grateful to my parents for forcing us to go, because Greek school was an important factor in the construction of my Greek identity. But there would have been no Greek school without the Greek state which funds Greek teachers in countries where there is a big Greek community. Without this service, me and my brother would not consider ourselves Greek today.

The same happens for the Greek broadcaster ERT. I remember the first time we watched Greek TV in Belgium: I was so exited that I was gonna be able to watch TV in Greek like I did during my holidays. Of course I was quickly disappointed because the series I used to watch were broadcasted by private channels. But as I grew up I became more and more interested in Greek public life and ERT was definitely a part of it. Without it I would not have been able to follow the debates that were going on in Greece, as in my house we did not get a computer until I was 17. So as a part of the Greek diaspora, ERT has been for years the link between me and Greece, a link that has now come to disappear. Of course internet is here and I have the possibility to get informed through it. But don’t forget that I am fluent in Greek, which is not the case for the entire Greek diaspora, and all those people who sometimes are further away than I am from Greece, won’t have the possibility to perpetuate their link with Greece. But this is not the first case where the Greek state has completely ignored its immigrant communities. Greeks who leave abroad cannot vote in Greek national elections, they have pay money to take a plane and go to Greece if they want to vote.

What shocked me the most in all this story is the lack of public debate on the issue, not even in the Greek Parliament. The whole thing was decided though a ministerial ruling that did not need to go through the Greek Parliament. I am not an expert on Greek public law, but when I was studying Belgian public law they taught us that a ministerial ruling is supposed to help the implementation of a law that was passed through the Parliament. I still struggle to understand the logic behind shutting down ERT. I doubt that the government would close the Greek public electricity provider (ΔΕΗ) or the water provider (ΕΥΔΑΠ) so abruptly - it would create chaos in Greece. So on Tuesday the Greek government decided that the right to information was a secondary right of Greek citizens at the moment, thereby de facto bringing the country 30 years back. The governments leaves the right to information to private interests because what is left today in Greece are private channel and radios whose main aim is entertainment.

From the reactions in the international media, but also by Greeks in Greece and abroad it looks like the government underestimated the importance of its public broadcaster. In fact, I believe that every democratic country should have a public broadcaster that reflects the public interests. The Lisbon Treaty agrees with me, stating that “the system of public broadcasting in the Member States is directly related to the democratic, social and cultural needs of each society and to the need to preserve media pluralism.” But I will make a small clarification because I read somewhere that shutting down ERT is against the Lisbon Treaty. It is not. What the Lisbon Treaty says is that the Member States have the right to finance a public broadcaster as long as it does not go against the rules of trade and competition of the EU. Basically what it means is that the European Commission did not have the right to ask the Greek government to close ERT. That is why yesterday the spokesperson of the Commission made clear that the EC never asked such a thing from the Greek government. That would have been against the Treaties.

Now what the Greek government has been saying all this time is that ERT did not reflect the public interest and was a nod of clientelism and corruption, which drained the state finance. Well with that definition in mind I can think of some other Greek institutions that need to be shut down. For example today the Greek Parliament has 300 parliamentarians; for a country of 10 million people it is way too much. Why not cut their number in half??

Anyway, once again it seems that this 'euro crisis' has set a bad precedent in European politics that undermines the supposedly democratic features of Greece and of the European Union. But what also pisses me off the most is that now international media are shocked by what is happening in Greece. This 360 degree turn of discourse in the media, comes a bit late. Well, but better late than never...