Vor ein paar Tagen stellte sich der französische
Präsident Hollande bei einer Konferenz mit japanischen Unternehmen ans
Rednerpult und verkündete lautstark: „Die Krise ist vorbei!“ Wow, das sind ja
tollte Nachrichten. Leider hat die OECD gleichzeitig ihre diesjährige
Wachstumsprognose für die Eurozone auf -0,6% nach unten korrigiert. Nach vier
Jahren Austerität zeigen sich noch immer keine Erfolge, und ich befürchte dass
die Sparpolitik Europa in einen Abgrund treibt, aus dem es kein Entkommen mehr
gibt. Die Sparpolitik gehört nicht bloß abgeschwächt, sondern abgeschafft.
Dieser Post soll der erste von einer Reihe von
Artikeln zu den Fehlern der Sparpolitik werden, und er orientiert zu einem
großen Teil an einem Artikel von Robert Boyer zu diesem Thema. Einer der
Hauptgründe für des unweigerliche Scheitern der Sparpolitik ist eine
fehlleitete Diagnose der Krise – Europas Poltiker verschreiben Antibiotika
gegen einen Virus. Eine Grundannahme der Austerität ist, dass die Krise durch
unverantwortlich hohe Staatsausgaben verursacht wurde, während sie im Grunde nur
ein Auswuchs des privaten Kreditbooms in den USA ist, der auch zur Finanzkrise
geführt hat.
Hollande in Japan: "Die Krise ist vorbei!" |
Die Deregulierung der Finanzindustrie in den 80er
Jahren hat es erlaubt, dass Kredite mit geringer Bonität* abgesichert wurden,
indem man sie in Kreditpaketen mit Krediten hoher Qualität vermischte. Man nahm
an, dass dadurch des Ausfallrisiko dieser Kredite auf in Minimum reduziert
werden könnte, was dazu führte, dass immer mehr der ärmsten Amerikaner Kredite bekommen
konnten. Die Banken fühlten sich von der Verantwortung befreit, sich sorgfältig
ihre Schuldner auszusuchen, und eine Immobilienblase begann zu wachsen. Der
freie und unbesteuerte, weltweite Handel mit Finanzprodukten brachte diese
toxischen Kreditpakete unweigerlich auch nach Europa, und als die Blase
platzte, mussten die meißten EU-Mitgliedsstaaten ihre ruinierten Banken mit
staatlichen Rettungspaketen unter die Arme greifen. Die Krise ist nicht das
Ergebnis unverantwortlicher Haushaltspolitik, sondern eines deregulierten
Finanzmarktes. Spanien hatte 2008 dank seines boomenden Immobilienmarktes sogar
einen Haushaltsüberschuss.
Gründe
der Deregulierung der Finanzindustrie
Die wachsende Ungleichheit in den USA |
Die Geschichte der Krise beginnt unmittelbar nach
dem Zweiten Weltkrieg, als eine keynesianische Wirtschaftspolitik zu Jahrzehnten
nachhaltigen und stetigen Wachstums beitrug. Bis in die später 70er Jahre
stiegen sowohl die Produktivität als auch die Gehälter immer mehr an. Als
dieser Trend dann in den USA ins Stocken gerat, begannen die Löhne von gering
ausgebildeten Arbeitern zu stagnieren. Gleichzeitig stiegen aber die Gehälter
für Fachkräfte weiter an, und es bildete sich eine Einkommensschere.
Weitreichende Sozialsysteme gleichten diese Entwicklung anfangs noch aus, doch
sie basierten auf der Solidität der Reichen gegenüber der Armen, und in den
80er Jahren regten sich erste Widerstände. Die staatlichen Sozialsysteme
mussten immer stärker durch Kredite finanziert werden, und die Staatsverschuldung
stieg massiv an. Insofern kan man öffentliche Schulden aus Versuch der
Regierungen verstehen die steigende gesellschaftliche Ungleichheit
auszugleichen.
Die Finanzindustrie wurde nicht nur durch die
wachsende staatliche Schuldenabhängigkeit immer wichtiger, sondern auch
dadurch, dass man versuchte, trotz der stagnierenden Produktion künstlich
Wachstum zu erzeugen. Wirtschaftswachstum und hohe Staatsausgaben konnten nur
durch Innovation in der Finanzindustrie aufrecht erhalten werden, und die Deregulierung
des Finanzsektors wurde als beste Methode angesehen, dies zu erreichen – diese
Deregulierung ist somit als Wurzel des Finanzkrise von 2008 anzusehen, durch
die die Sparpolitik ausgelöst wurde.
Strukturelle
Probleme in der Eurozone
Die Polarisierung von Außenhandelsüberschüssen/-defiziten in Europa |
Die Probleme von finanzgetriebenem Wachstum wurden in Europa durch die Währungsunion von
1999 verschärft. Die Einführung des Euro unter strengen, anti-inflationären
Regeln hat die Mitgliedsstaaten an einer künstlichen Währungsabwertung
gehindert, und die Eurozone ist so konstruiert, dass es keinen organisierten
Ausgleichsmechanismus für dieses Problem gibt. Es wurde einfach angenommen,
dass sich durch mehr Preistransparenz die wirtschaftliche Lage in den
Mitgliedsstaaten angleichen würde; die Realität jedoch sah ganz anders aus.
Sogar noch vor der Bargeldeinführung 2002 begann sich die Eurozone zu teilen:
da die Regierungen noch immer mit dem Versuch beschäftigt waren ihre
Sozialsystem aufrecht zu erhalten, musste Geld beschafft werden, und das
funktionierte nicht über eine exportanregende Währungsabwertung. Deutschland
betrieb eine deflationäre Niedriglohnpolitik, die den gleichen Effekt auslöst,
und die Deutschland zum Exportweltmeister machte. Andere Mitgliedsstaaten
besaßen keine großen Produktionskapazitäten, und konzentierten sich stattdessen
aus kreditgetriebenes Wachstum und auf ihre Finanzsektoren. Diese Länder waren
2008 dann besonders verwundbar, als die amerikanische Immobilienblase platzte.
Die
Sparpolitik ist die falsche Heilmethode
Der Mythos von unverantwortlichen Staatsausgaben
ist äußert oberflächlich, und bricht bei genauerem Hinschauen in sich zusammen.
Wenn die Kommission ihren Diskurs und ihre Politikempfehlungen nicht
fundamental ändert, wird sich Europa nicht erholen können. Die Regulierung der
Finanzmärkte, und die Einrichtung eines permantenten europäischen
Solidaritätsmechanismus sind von zentraler Bedeutung für die Zurückgewinnung
wirtschaftlicher Stärke, und für den Erfolg des Projekts Europa. Die
Sparpolitik zerstört nicht nur die Wirtschaft, sondern sie verpflanzt die
wirtschaftliche Spaltung Europas in die Köpfe seiner Bürger.
Harald Köpping
* Kurz gesagt ist die Bonität die Wertigkeit
eines Kredits. Je höher die Bonität, desto größer ist die Chance, dass dieser
Kredit in die Bank zurückgezahlt wird.
Bitte
lest auch: Boyer, R. (2012). The four fallacies of contemporary austerity
policies: the lost Keynesian legacy. Cambridge
Journal of Economics, 36. 283-312.
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