Monday, 29 October 2012

Europa und die Krise: Antwort an Schäuble

Wolfgang Schäuble

Es gibt viel das mir an unserem Finanzminister Schäuble gefällt. Er ist ein wahrer Europäer, und ich glaube ihm, wenn es sein Mitgefühl gegenüber unseren südeuropäischen Nachbarn ausdrückt. Der an einen Rollstuhl gebundene 70-Jährige hat die Politik zu seinem Leben gemacht, und trotz all der Kraft die es ihn gekostet haben muss, hat er absolute Hingabe gezeigt. Trotz alldem, kann ich mir in manchen Interviews des Eindruckes nicht verwehren, dass er doch nur ein kaltherziger Technokrat ist, ohne die Leidenschaft die er zweifellos haben müsste. Ich empfehle euch sehr das ZDF-Interview anzuhören das vor ein paar Tagen ausgestrahlt wurde. In diesem Interview wird er mit der griechischen, neofaschistischen Partei ‚Goldene Morgenröte‘ konfrontiert, deren Aufstieg der beteiligte Journalist als durch die Austeritätsmaßnahmen ausgelöst ansieht. Ich zitiere ihn hier nicht Wort für Wort, aber grob sagt Schäuble daraufhin Folgendes: ‚Das ist keine Frage die Sie mir stellen sollten, sondern den Politikern in Griechenland. Die griechischen Politiker verbreiten den Mythos, dass die Krise durch Dritte verschuldet ist, und dass Griechenland damit nichts zu tun hat. Dies ist eine Lüge. Das griechische Volk muss begreifen dass Griechenland selbst, und niemand außer Griechenland die Krise ausgelöst hat. Alles Andere ist ein Mythos.‘ Es benutzt die Wörter ‚Griechenland‘ und ‚griechisches Volk‘ ohne zu differenzieren, und widerspricht der Ansicht, dass auch Europa, Deutschland, oder der Kapitalismus selbst an irgendetwas Schuld hat. Dieses Interview stimmte mich traurig, denn es verzerrt die Realität über ein ertragbares Maß hinaus. Was ich also heute schreiben werde habe ich schon vorher gesagt, aber die ständige Konfrontation mit der größten Lüge von Allen, zwingt mich dazu mich zu wiederholen. Deutschland, Europa, und Griechenland – wir alle tragen Schuld, und damit Verantwortung, für die Krise. Ich werde nun alle drei kurz ansprechen um zu zeigen, das Schäubles Ansicht eindeutig widerlegbar ist, und dass dieses Interview ein wahltaktisches Manöver war.

Deutschland, auch du trägst Verantwortung für die Krise, denn deine Niedriglohnpolitik hat deine eigenen Kunden niederkonkuriert. Deine Einkommensstagnation sucht in der Eurozone vergeblich ihresgleichen, und dein Binnenmarkt wirkt verkümmert im Gegensatz zu deinem gigantischen Exportgeschäft. Deine Arbeiter sind unterbezahlt, und während du die Arbeitslosigkeit auf eines der niedrigsten Niveaus in Europa gedrückt hat, führst du auch eine andere, traurigere Statistik an: nirgends in der Welt werden so wenig Kinder geboren. Du spielst dich als Vorbild auf, und sagst allen sie sollten sich an dir ein Beispiel nehmen, doch wohin sollen all diese Exporte gehen? Wenn alle exportieren verlieren alle, denn was ein Land ausführt, muss ein Anderes einführen. Also tu nicht so als wärst du unschuldig, sondern führe endlich einen gerechten Mindestlohn ein.

Europa, auch du trägst Verantwortung für die Krise. Deine Kommission kennt nur eine Politik: Integration, egal zu welchen Kosten. Es ist dir egal, dass du mit deiner unnachgiebigen Erweiterung jahrhunderte alte Landwirtschaft zerstört hast, und dass es riesige Einkommenunterschiede zwischen deinen Mitgliedsstaaten gibt, die von deinen Großkonzernen gnadenlos ausgenutzt werden. Es ist dir egal, ob deine Währung nur den Starken etwas bringt, Hauptsache es gibt sie. Der Faschismus wächst in deiner Wiege erneut heran, und du hast nichts dazu zu sagen. Du unterstützt die absichtliche Verarmung des Südens, und es ist dir egal ob die Abgabe der griechischen und portugisischen Soveränität legitim ist oder nicht. Die europäische Integration ist eine einzigartige und positive Entwicklung, doch sie besitzt keinen intrinsischen Wert, genausowenig wie die Vereinigung Deutschlands oder Italiens. Mit der europäischen Fahne zu wehen reicht nicht aus; die europäische Integration muss gerechter werden.

Auch du, Griechenland, trägst Verantwortung für die Krise. Dein politischen System ist korrupt, und deine Politiker holen sich ihr Geld vom kleinen Mann, statt von den Millionären, die Milliarden in die Schweiz gebracht haben. Deine Regierung lebte lange über ihre Verhältnisse, und du hast kein funktionierendes Steuersystem. Deine Bürger bezahlen vielleicht gern ihre Steuern, doch du hast ihr Geld verschwendet. Wozu soll man Steuern zahlen, wenn die Schulen zu schlecht sind, dass man für Nachhilfeunterricht bezahlen muss? Wozu soll man Steuern zahlen, wenn man mit Bestechung so viel mehr erreichen kann? Ja, auch du hast Schuld, doch du bist auch ein Opfer eines Systems, das Exporteure bevorzugt, eines Systems, das über keinen Ausgleichsmechanismus für die Verlierer, für die Peripherie, verfügt.

Schäubles farbloses Bild ist gefährlich und vertieft die Gräben zwischen Europa und Griechenland. Wir alle haben Schuld, und damit auch Verantwortung. Deutschland und Europa dürfen sich nicht raushalten wenn in Griechenland eine radikal-faschistische Partei in den Umfragen 20% bekommt. Die Europäer haben Rassismus zusammen geschürt, und Europa muss ihn nun gemeinsam bekämpfen. Alex und ich haben Angst dass Europa abermals schweigt, und den Aufstieg einer rassistischen Partei zulässt. Es reicht nicht, eine konkurrierende Erzählung zu kreieren, und wenn das Alles ist, was Europa zu sagen hat, werden sich die Klüfte zwischen Norden und Süden noch mehr vertiefen.

4 comments:

  1. Comment by Ilias:

    The crisis in Europe has nothing to do with Greece. It would have happened anyway, with or without us. It is a direct result of de-regulation (sometimes even complete absence of regulation) in the finance sector and it plunged the entire world in recession. Granted, we Europeans did a far better job regulating our banks than our American friends, but nowhere near good enough.

    The crisis in Greece is largely unconnected, at least in the form it presently takes, with the crisis the rest of the world experiences. It is, first and foremost, a political and institutional crisis and it would have presented eventually one way or another. The German low-wage, high export policies certainly did not help, but Austria, Denmark and Holland compete with Germany within the Eurozone as well and they are doing just fine. The only 2 reasons it did not happen sooner are :

    A) Some very serious attempts to control the deficit and national debt throughout the ninties during the Mitsotakis and the first term of the Simitis administrations.

    B) Low interest rates after we joined the Eurozone.

    The cause of this political and institutional crisis is poor education and complete and total lack of evaluation throughout all levels of education but also the public sector at large. You can trace the beginning of this in the eighties (I am sure Alex will be bleeding out her eyes reading this, but you might want to also listen to someone with a different view of the matter).

    As for the Golden Dawn yes it is allarming and yes the recession is playing a big part in their rise, however it is not the main cause and this is all I would be willing to say right now, for fear of actually giving Alex a massive stroke:P. However, far-right parties are anything but new in Europe, unless Jean Marie Le Pen is considered to be a puppy-loving saint now. The reason I mention that is not to "take the edge of" the Golden Dawn, but rather to illustrate that the causes of phenomena such as this are far deeper and more complex that any one financial crisis, or the public statements of a couple of public officials. It seems strange, allien and outlandish to us, but one brief look at European history shows it is anything but. The generation that lived through the 2 great wars is all but dead, and with them the torch that illuminates our dark pasts. It is up to us to find ways to re-kindle that torch, or eventually, submerge in darkness once again.

    The above said, I find nothing to disagree with in your post. All the dots are there, and there is indeed a connection. Just not as strong and straightforward as the one you think there is.

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  2. Thanks for your comment! You have some valuable insights into Greek policy-making that I obviously lack, so thanks a lot for this. I still think Chrisi Avgi is far more dangerous than FN or even the NPD here in Germany - their agenda is FAR more radical and - don't take this the wrong way - I have always kinda felt that there is a lot of latent racism in Greek society, as well as ignorance about WWII. So there is potential for Chrisi Avgi. What I do think though is that Greeks are very weary of authoritarian governments, so on that point Chrisi Avgi would have to change quite fundamentally to have a chance to get into government. On another note, like I said in a previous post, I see the Greek crisis as an expression of a more fundamental systemic crisis of capitalism. Things in Greece only started fucking up during the financial crisis in 2009, and there is a clear connection between bail-outs for Greek banks and the sudden rise in interest rates.

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  3. Comment by Ilias:

    The bail-out for the banks was decided in Greece in 2009. It was not exactly a bail-out. It was a guarantee for savings and liquidity in case the banks needed it. The banks didn't, so almost no money was paid in 2009. Furthermore, contrary to most other banks in world, greek banks did not engage in any risky behaviours, nor did they leverage as high as other banks. The financial crisis found us with a fairly healthy banking sector (as demonstrated by the various stress tests conducted leading up to the PSI). That is not say that greek banks are saints. Far from it. They did engage in some predatory lending, especially in the beggining of our participation in the eurozone, but then a monitoring system was put in place called Teiresias, that proved to be suprisingly effective at regulating their lending practices. The only risky behaviour the greek banks did engage in, was buy greek treasury bonds. Greek retirement funds also did so, as well as greek universities. Everyone in Greece and their mothers were funding the greek deficit and refinancing the greek national debt.

    As I am sure you know, greek GDP was around 220 billion euro in 2009. Fiscal deficit turned out to be 15%, some 35 billion euros. There has always been a trade deficit, but during the last decade it has been rapidly climbing (to give you an idea, the trade deficit in 2012 is estimated to be around 15 billion euro, and that is already 20 - 25% smaller than it was in 2009). You know how it goes, production shrunk, consumption grew. And it was funded by ECB low interest rates, enjoyed by everyone in the Eurozone. Greek politicians for the most part squandered EU funding, especially during the 80s but also the Karamanlis' (2004-2009) administrations, as well as the second Simitis' administration. Result of this is that the greek public sector has barely any network support, sometimes public services housed in the same building are completely disconnected and do not communicate (the various Task Force reports, headed by your own Horst Reichenbach, are illuminating). Another result of failing to take advantage of EU funding to improve our productivity is that while, according to the OECD, Greece is ranked 3rd when it comes to working hours per week (the first being Venezuela and the second being South Korea), we are at the very bottom of the list when it comes to productivity and last not only in the Eurozone but in the EU as well. The hardest working people in Europe are also the least productive ones. One of the many greek paradoxes. If you could speak greek I would recommend watching a series of reports conducted by greek journalists with the help of Mr. Panagiotis Karkatsoulis who received the International Public Sector Award by the American Society of Public Administration (another paradox, one of the best public workers in the world, working in one of the worst public sectors in the world...) in which he explains why it is litterally impossible to govern Greece. All I will tell you is that since 1975 when Greece finaly became a Democracy again 171.500 laws have been passed and more than 60% of these have not been approved by the parliament! Most of these, if not all I am not sure, are about Public administration. In short, no one knows which law applies when.

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  4. Ilias comment continued:

    This may indeed be a crisis of capitalism. The model seems to be slowly outliving it's usefulness if it hasn't already. Trust me, I would take great comfort knowing that if only American banks hadn't collapsed in 2008, things in Greece would have been just fine. But saddly, it is not the case. To tell you the truth I am gratefull for the financial crisis. If it hadn't happened Greece would have probably kept going the way it has, markets would still be willing to refinance our debt without a second thought, productivity would have kept erroding... This would have eventually happened only the numbers would have been far worse and the adjustment a lot harder than it already is. I understand in a globalized world Greece, or any other country, can never be unaffected by what is happening elsewere. But, if anything sound policies years ago could have allowed us to be in a better position today, and why not, enjoy the same kind of success that Canada is, even in the middle of the crisis. This is why I would rather focus on our side of the blame than anything else. Besides, it's the only thing you have any control over.

    As far as Chrisi Avgi is concerned, I agree that it is more dangerous than FN. I do not know enough about the NPD to make a judgement, so I'd rather defer to yours. But I think you would agree that the rise of far right (and far left) parties is something that should concern the EU as whole. Especially if you look at other examples in Europe, not as radical as Chrisi Avgi, but with clear racist subtext like the Italian Lega Nord, the Norwegian Progress Party and the (declining) far right cells within the Swiss SVP. For some reason, that ideology still fascinates a percentage of the population and although there are certain regional factors infulencing this, I think it is equally (if not more) important to understand the more general problem and address it as a whole.

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