Mehr als 300 tote Flüchlinge an Europas Mittelmeerküste sollte uns eigentlich dazu anregen,
über die Grundlagen der europäischen Flüchlingspolitik ernsthaft nachzudenken,
doch bei den Reaktionen europäischer Politiker stößt man vor allem auf
grenzenlosen Zynismus. „Kann man mehr tun? Ja, aber das ist eine Sache der
Mitgliedsstaaten,“ sagte vorgestern ein Sprecher von Innenkommissarin Cecilia Malmström. „Man darf sich da keine Illusionen machen,“ sagt der Sprecher, und
weist darauf hin, dass es „nicht realistisch ist zu denken, dass man jede
Tragödie oder jeden Tod im Mittelmeer vermeiden könnte.“ Zwischen 1993 und 2012
sind insgesamt 17,306 Menschen beim Versuch Europa zu erreichen ums Leben
gekommen, mal ganz von den undokumentierten Toten abgesehen. Ist es etwa
idealistisch zu glauben, dass ein anderen Europa alles in seiner Macht stehende
hätte tun sollen, um diesen Menschen das Leben zu retten? Ein Massengrab im Mittelmeer ist der Preis, den die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten
gewillt sind zu zahlen, um Flüchtlinge daran zu hindern, die EU-Außengrenze zu
überschreiten.
Hunderte Tote in Lampedusa |
Eigentlich
wollte ist diesen Eintrag ganz anders beginnen, denn das Thema, um das es mir
gehen soll, ist ein Anderes, obwohl es im gleichen Zusammenhang steht. Vor ein
paar Wochen sind Alex, ich und unser Hund Napo zusammen mit dem Auto nach
Griechenland gefahren, und unterwegs überquerten wir die rumänischen und bulgarischen
Grenzen. Obwohl beide Länder schon lange zur EU gehören, wird man an der
Grenze noch immer kontrolliert, denn Rumänien und Bulgarien wurde es bisher
verwehrt, dem Schengenraum beizutreten. Zuletzt war es die französische
Regierung, die sich am heftigsten gegen einen Schengen-Beitritt wehrte, doch
Deutschland steht seinem Nachbarland hier in keinerlei Hinsicht nach. Warum das
Ganze? Ein paar kluge Journalisten scheinen da Antwort ja gefunden zu haben,
und verweisen auf eine potentielle Immigrantenflut aus dem Ostbalkan, oder auf
Probleme mit Sinti und Roma. In Wirklichkeit liegt der Grund für das deutsch-französische
Veto ganz woanders, und es wird einem beim Blick auf die Landkarte schnell klar
wo das Problem liegen könnte. Bisher hat der Schengen-Raum nur eine Grenze mit der
Türkei, nämlich über Griechenland. Wenn man über Griechenland irregulär in die
EU einwandert, und ohne Grenzkontrollen weiterkommen will, muss man also eine
Fähre nach Italien nehmen, was für Flüchtlinge unmöglich ist, ohne aufgegriffen
zu werden. Alternativ kann man eine weitere Grenze illegal überschreiten. Wären
Rumänien und Bulgarien im Schengen-Raum, könnte man bequem nach Deutschland und
Frankreich weiterreisen, ohne kontrolliert zu werden, und genau deshalb gibt es
das deutsch-französische Veto.
Bereits 1996
schrieb Sarah Collinson über eine europäische Asylpufferzone, welche im Jahr
2013 größtenteils realisiert wurde. In diesem Fall entsteht eine Pufferzone,
indem Rumänien und Bulgarien systematisch der Beitritt zum Schengener Abkommen
verwehrt wird. Griechenland wird so mit Absicht von EU-Kerngebiet
abgeschnitten, um Flüchtlingen die Weiterreise nach Deutschland oder Frankreich
zu verwehren. Für irreguläre Migranten führt der Weg in die Legalität über
einen Asylantrag, denn zur legalen Einwanderung braucht man entweder den Pass
eines reichen Landes oder einen Job in der EU bei dem man mindestens €60.000
verdient. Nach dem Einreichen des Asylantrages sagt die Dublin-Verordnung,
dass in vielen Fällen jenes Land zuständig ist, indem zuerst EU-Territorium
betreten wurde. Um die Reiseroute nachvollziehen zu können, werden von jedem
irregulären Einwanderer beim ersten Kontakt mit den Behörden eines
EU-Mitgliedsstaates die Fingerabdrücke aufgenommen. Es gilt also zwischen den
Mitgliedsstaaten folgendes Prinzip: wenn man einem Flüchling die Einreise
ermöglicht hat, ist man auch für ihn verantwortlich. Ein Land mit EU-Außengrenze
sollte deshalb besser seine Grenzen dicht machen, und Flüchtlinge gar nicht
erst einreisen lassen. Ich denke mir das nicht aus, sondern habe das vor Kurzem
von einem hochrangigen Mitarbeiter der Kommission bestätigt bekommen, dessen
Namen ich hier nicht nennen kann. Die Kommission sagt, es liegt an den
Mitgliedsstaaten ein anderes System zu entwicklen – das stimmt aber so nicht.
Die im Moment gültige dritte Version der Dublin-Verordnung wurde vor Kurzem von der
Kommission selbst vorgeschlagen, und eben diese Verordnung ist teilweise dafür
verantwortlich, was jede Woche auf Neue an Europas Grenzen passiert. Das
Dublin-System muss enden, und die Kommission hat die politische Aufgabe eine
Alternative vorzuschlagen.
Nächstes
Wochenende, beim Landesparteitag der SPD-Sachsen, werde ich fünf Minuten Zeit
dafür haben, über eine weitreichende Reform des europäischen Asylsystems
zu sprechen. Ein von mir entworfener, und von der AG Migration und Vielfalt
der SPD-Sachsen eingereichter Antrag dazu liegt vor, und ist hier nachzulesen –
er orientiert sich an einem Blogpost aus dem letzten Jahr. Es ist leider eine
traurige Ironie, dass die aktuellen Geschehnisse uns für dieses Anliegen Rückenwind
geben. Wenn der Antrag angenommen wird, muss er beim Bundesparteitag
eingereicht werden, und es besteht die Chance, dass er ins SPD-Parteiprogramm
aufgenommen wird. Wünscht mir also viel Glück, denn das hier könnte wirklich
etwas bewirken.
Harald Köpping