Alternativlosigkeit. Dies ist der Tenor, der derzeit im
politischen Alltag Europas den Ton angibt. Letzte Woche habe ich im Guardian eine
Meldung gelesen, die mir zu Denken gab. Ed Miliband, der Vorsitzende der
britischen Labour-Partei, sagte der Kapitalismus sei "das am wenigsten
schlechte System das wir haben". Das Ziel seiner Partei sei nicht die
Abschaffung des Kapitalismus, sondern die Zähmung seiner Kreativität hin zu
einem "anständigen" und "humanen Kapitalismus". Im Gegensatz zur Zeit des kalten Krieges, wird heute der Finanzkapitalismus kaum mehr in Frage gestellt, selbst von
Parteien von denen man dies eigentlich erwarten müsste.
Sitz der Mondragón Corporation im Baskenland |
Dennoch gibt es Alternativen, wenn auch nicht in staatlich
organisierter Form. Science-Fiction Autor Kim Stanley Robinson beschreibt in
seiner Mars-Triologie die Kolonisierung und die Veränderung des roten Planeten
hin zu einer zweiten Erde. Es schildert auf sehr realistische und
nachvollziehbare Weise, wie eine neue Gesellschaft sich außerhalb der Erde
entwickeln könnte, befreit von tief verwurzelten, archaischen Wertesystemen und
Dogmen. Robinsons Bücher stammen zwar aus den 1990er Jahren, aber fast prophetisch
erkannte er schon damals das enorme Potential von Genossenschaften,
insbesondere das der Mondragón Corporation in Spanien. Mondragón bildet die
größte Genossenschaft der Welt, und gehört zu den zehn größten spanischen
Unternehmen. Dieser Post soll eine Alternative zum kapitalistischen System
vorzeigen, die auch ohne Paradigmenwechsel oder Revolution implementiert werden
kann, und das sogar äußerst erfolgreich.
Die Mondragón Corporation wurde in den 1950er Jahren von einem katholischen
Priester namens José Maria Arizmendiarrieta im Angesicht spanischer
Massenarbeitslosigkeit gegründet, und besaß 2011 insgesamt 83.560 Mitarbeiter.
Mondragón hat über 100 Tochterunternehmen, und produziert unter Anderem Kühlschränke,
Rolltreppen, oder auch Werkzeug- und Maschinenteile. Auch Eroski, eine
der größten spanischen Supermarktketten, gehört zu Mondragón. Als neuer
Mitarbeiter kann man sich nach einer Probezeit von sechs Monaten für
€12.000 Genossenschaftsanteile kaufen, die dann einerseits als
Investionskapital und für Innovation verwendet werden, und andererseits für
gemeinnützige Zwecke; im Gegenzug wird man zu einem integralen Bestandteil des
Unternehmens. Die Unternehmensführung wird durch eine jährliche
Generalversammlung durch alle Mitarbeiter gewählt, und die Geschäftstruktur
Mondragóns ist durch und durch demokratisch - auf allen Ebenen entscheiden die
Mitarbeiter über die Unternehmensstrategie. Jeder Arbeiter fühlt sich für das
Unternehmen verantwortlich, wie dies sonst nur in Managerkreisen üblich ist.
Auch in weiterer Hinsicht ist Mondragón revolutionär: die Unternehmensführung
darf maximal das 8-fache des Mindestgehalts eines einfachen Mitarbeiters
verdienen. Kaum jemand verdient allerdings das Mindestgehalt, weshalb dieser
Abstand in der Realität weitaus geringer ist. Man bedenke, dass es sich um ein
Unternehmen mit €15 Milliarden Jahresumsatz handelt. Josef Ackermann verdiente
seinerzeit das 400-fache eines einfachen Angestellten, und in den meißten
Unternehmen dieser Größenordnung sind ähnliche Bedingungen keine Seltenheit.
Die Stadt Mondragón hat eine Arbeitslosigkeit von nur 8%, bei einer
landesweiten Arbeitslosigkeit von über 25%. Trotz Krise hat Mondragón keine
Stellen abgebaut; wegen seiner vielen Tochterunternehmen wurden Mitarbeiter
einfach nach Bedarf zugeteilt. Mondragóns Modell scheint zu funktionieren.
Zwischen 1990 und 2011 hat sich die Anzahl der dort Beschäftigten vervierfacht.
Mondragón kann uns in vielerlei Hinsicht als Vorbild dienen. Zum einen zeigt es
die Vorteile eines koordinierten Arbeitsmarktes, der dazu führen könnte, dass
Kündigungen unnötig werden. Dadurch, dass die Mitarbeiter selbst das
Unternehmen leiten, ist die Motivation dementsprechend höher. Außerdem ist eine demokratische Unternehmensstruktur einfach gerechter! Gramsci schreibt,
dass eine hegemonische Struktur nur durch eine Gegenhegemonie zu Fall zu
bringen ist. Die Umformung von rein profitorientierten Unternehmen zu
Genossenschaften könnte die Substanz einer solchen Gegenhegemonie bilden.
Heute beende ich den Post mit einem Zitat vom besagten Kim Stanley Robison aus
seinem Roman Blauer Mars (meine Übersetzung): "Das System, das
kapitalistische Demokratie genannt wird, ist im Grunde nicht demokratisch. [...]
Wir müssen uns verändern. Es ist Zeit. Wenn die Selbstbestimmung ein fundamentaler
Wert ist, wenn einfache Gerechtigkeit ein Wert ist, dann sind sie überall
wertvoll, auch am Arbeitsplatz, wo wir so viel unserer Lebenszeit
verbringen." So viel dazu,
Harald Köpping
Hier noch ein Paar Links: