Tuesday, 11 September 2012

Ein großer Schritt: Warum wir die Raumfahrt brauchen


Wenn ihr die Bibel lest, kennt ihr vielleicht einen Vers aus dem Buch der Sprüche (29, 18): „Wo keine Vision ist, wird das Volk untergehen.“ Dieser Blog soll kein Bibelkommentar sein, aber ich muss doch zugeben, dass der gute König Salomon eine wichtige Wahrheit über den Menschen verstanden hat: wir brauchen eine Vision, eine Offenbarung, ein métarécit, um uns voranzutreiben, um das menschliche Genie zu entzünden. Jede Nacht blicken Menschen aus aller Welt in den gleichen Himmel, sehen den gleichen Mond und die gleichen Himmelskörper. Der Blick nimmt uns manchmal fast den Atem, und ich kann mir kaum vorstellen, was wohl durch die Köpfe unserer fernen Vorfahren ging, als sie allnächtlich dieses Spektakel zu sehen bekamen. Die NASA-Sonde ‚Curiosity‘ (zu Deutsch, ‚Neugier‘), könnte keinen passenderen Namen haben, denn so viel in unserer Kultur haben wir dieser einzigartigen Eigenschaft zu verdanken, ohne jene wir uns wohl kaum wiedererkennen würden. Wie der französische Philosoph Lyotard jedoch vorhergesagt hat, sind wir inzwischen von einer Flut digitaler, quantifizierter Informationen bedroht, und rationales Verhalten ist oft gleichgesetzt mit Egoismus, vielleicht das dunkelste menschliche Laster. Der Entdeckergeist geht immer mehr auch aus unseren Raumfahrtprogrammen verloren, und alles muss eine ‚rationale‘, wirtschaftlich motivierte Begründung haben, um legitim zu werden. Tiefere Fragen über die Legitimierung werden nicht gestellt. Uns wurde erzählt, dass das menschliche Leid auf der Erde uns dazu anregen sollte, all unsere Kraft hier auf der Erde einzusetzen, anstatt sie für Science-Fiction-Abenteuer im Weltraum zu verschwenden. Ich möchte diese Annahme in Frage stellen, und hoffe euch zeigen zu können, das dieser Appell an unser gemeinschaftliches Gewissen nicht nur fehlgeleitet, sondern auch gefährlich ist.

ExoMars (2014) schwenkt ein in den Marsorbit
Im Jahr 2009 bezahlte jeder Europäer aus einem ESA-Mitgliedsstaat €8,64 für das Raumfahrtprogramm, während jeder Amerikaner immerhin $57,54 der NASA zur Verfügung stellte.Das derzeitige ESA-Budget von ungefähr €4 Milliarden reicht allerdings aus, um Sonden zum Mars, zur Venus, und zum Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko zu schicken; mit relativ wenig Mitteln ist also schon relativ viel möglich. Für eine bemannte Mission zum Mars allerdings, bräuchte man eine ganz andere Dimension der Finanzierung. Robert Zubrin und David Bakers Vorschlag für die Entsendung von vier Astronauten zum roten Planeten (siehe Mars Direct) würde mindestens €50 Milliarden verschlingen, verteilt über ein Jahrzehnt. Konservative Schätzungen gehen sogar von €500 Milliarden aus (naja, eigentlich sind wir ja solche Zahlen längst gewöhnt...). Der Weltraum ist teuer, da kommt man nicht drumherum. Um allerdings zu verstehen, warum das Problem kleiner ist als es aussieht, muss man sehen wie diese Kosten eigentlich entstehen.

Man könnte denken, dass die hohen Energiekosten die Preise in die höhe treiben, aber dem ist nicht so. Nehmen wir also an, es kostet €10.000 um ein Kilogramm Ballast in die Erdumlaufbahn zu befördern, was wiederum 50 Liter Kerosin benötigt, dann kommt man so nur auf €50 pro Kilo. Was also einen Start teuer macht, sind die Materialkosten für Raketen, deren eingeschränkte oder nicht vorhandene Wiederverwendbarkeit, und die hohen Entwicklungskosten, also die Mitarbeitergehälter und die Technologieentwicklung, welche aus genannten Gründen doch recht kostspielig ist. Jedoch muss man wissen, dass nur 2,7% des aktuellen ESA-Budgets für die unbemannte Erforschung des Sonnensystems ausgegeben werden. 8,8% und 15,1% werden jeweils der bemannten Raumfahrt und der Raketenentwicklung gewidmet. Der Großteil des Geldes gilt Dingen wie Navigationssystemen und Erdbeobachtungssatelliten. Ein Blick auf das NASA-Budget bestätigt diesen Eindruck. Im Grunde gibt Europa also nur €500 Millionen im Jahr für die Erforschung des Weltalls aus, welche unser Entwicklungshilfebudget nicht mal um 1% ansteigen ließe. Verglichen mit Bildungs- und Gesundheitsausgaben besitzt dieses Geld kaum Relevanz.

Der Mars könnte zur zweiten Erde werden
Ich muss dennoch etwas noch Wichtigeres sagen. Geht es bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse auf der Erde wirklich um Geld? Weltraumtechnologien haben immens dazu beigetragen menschliches Leid zu verringern (in Form von Wettersatelliten, Navigationsdiensten, Erdbeobachtung, Katastophenmanagement, etc.), und Geld selbst baut keine Schulen und Krankenhäuser. Unser Planet leidet nicht an Ressourcenknappheit, sondern an einem Verteilungsproblem. Geldmangel ist eine künstlich erzeugte Knappheit, erzeugt durch unseren blinden, schon fast religiös anmutenden Glauben an das monetäre System. Es ist jedoch so, dass wir theoretisch all unser Geld verbrennen könnten, ohne, dass es der Welt dadurch besser oder schlechter ginge. Schließlich sind es Menschen die Schulen und Krankenhäuser bauen und verwalten müssen! Ein Budget für die Erforschung des Weltraums das ein Zehnfaches höher ist als das Jetzige wäre mühelos zu erreichen, und nicht ein Mangel an Ressources verhindert dies, sondern mangelnde öffentlich Unterstützung. Wie so oft benötigen wir internationale Koordination, um Duplikation zu verhindern und um Kooperation zu stärken. Eine Fusion aller Raumfahrtbehörden zu einer Weltraumfahrtagentur würde uns die Möglichkeit bieten mit der Besiedlung des Mondes und des Mars noch in diesem Jahrzehnt zu beginnen. Europa könnte dabei eine besonders wichtige Rolle spielen, da es schon über viele Jahre Erfahrungen auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit gesammelt hat.

Es sind durchaus ethische Probleme mit der Erforschung des Weltalls verbunden (diese sind meißt an ökologische Bedenken geknüpft, die bei der Kontamination fremder Planeten mit irdischem Leben eine Rolle spielen), doch das Argument, dass der Weltraum nicht wirtschaftlich ist, führt in die Irre. Es verleitet uns zu dem Gedanken, dass Geld selbst Menschen ernähren kann, welcher von der Wahrheit nicht weiter entfernt sein könnte. Dieser Gedanke ist gefährlich, denn was wir wirklich brauchen ist eine gerechte Ressourcenverteilung. Die Ressourcen, die für das Weltraumprogramm verwendet werden, würden den Hunger nicht beseitigen, doch politische Institutionen wie die WHO geben den industrialisierten Ländern einen Wettbewerbsvorteil, der die Kluft zwischen Armen und Reichen immer breiter werden lässt.  Ungerechtigkeit muss zunächst auf dem politischen Level bekämpft werden (worüber wir ja in vielen Posts berichtet haben), und nicht mit Einschnitten im Weltraumbudget die Wählerstimmen bringen sollen.

Die Zukunft der Menschheit liegt unausweichlich im Weltraum. Zukünftige Generationen werden mit von uns ungeahnten Ausmaßen von Überbevölkerung und Rohstoffknappheit zu kämpfen haben, und die Existenz der Menschheit auf nur einem Planetan birgt ein ständiges Risiko der Vernichtung (sei es durch eine Seuche, einen Atomkrieg oder einen Asteroideneinschlag, um nur ein paar Szenarien zu nennen). Das SETI-Programm hat bisher nur wenige Resulate geliefert, und nach jetzigem Kenntnisstand sind wir im Universum allein – wir sind sein einziges Bewusstsein, und es wäre unverantwortlich das Bewusstsein des Universums auf einem einzigen Planeten zu lassen. Der Mars ist gleich nebenan, und die Kolonisierung des Sonnensystems ist bereits mit heute verfügbaren Technologien machbar. Das ESA-Programm Aurora ist ein ehrgeiziges aber unterfinanziertes Projekt, das bis zum Jahr 2035 Menschen auf den Mars bringen soll, und das dessen Besiedlung in den 2040er Jahren einleitet. Mindestens 25% des ESA-Budgets sollte zu diesem Zweck verwendet werden. Im Moment werden 19% zum Bau eines sinnlosen Satellitennavigationssystems eingesetzt, welches ein bereits exisitierendes amerikanisches System dupliziert. Würde man die Budgets von NASA, ESA und ROSKOSMOS zusammenlegen, wäre eine bemannte Mission zum Mars im Jahr 2022 absolut realistisch. Keine Vision vermag uns mehr zu inspirieren als der Weltraum, und wenn die Menschheit überleben will, müssen wir dieses Ziel mit aller Kraft verfolgen.

Harald Köpping

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