Monday, 27 May 2013

Marx gegen Jesus? Warum Sozialismus und Christentum zusammen gehören

Ich bin Christ, und ich bin Sozialist.

Wenn man diese zwei Aussage im gleichen Satz liest, ist man zunächst vielleicht verwundert – war es nicht Marx, der die Religion ‚Opium für’s Volk‘ genannt hat? Steht das ‚C‘ in ‚CDU‘ nicht für ‚christlich‘, und wählen die meißten Christen nicht eher konservativ? Das stimmt vielleicht alles, aber trotzdem glaube ich, dass sich Christentum und Sozialismus nicht gegenseitig ausschließen. Ich bin überzeugt, dass eine Koalition aus Christentum und Sozialismus nicht nur möglich, sondern notwendig ist. Ich möchte diesen Standpunkt nun zunächst aus einer philosophischen, und danach aus einer ethischer Sichtweise belegen.


Der Kapitalismus und die Anbetung der Habgier

Der Kapitalismus ist viel mehr als nur ein Weg die politische Ökonomie zu organisieren – er ist eine Ideologie. Die Ideologie des Kapitalismus nimmt an, dass die soziale Welt vom Eigennutz angetrieben wird, und dass der Dynamik des Marktes die Habgier und der Egoismus des Menschen unterliegt. Jede Entscheidung beruht letztendlich auf Eigennutz, und ein jeder versucht so viel Profit wie möglich für sich selbst herauszuschlagen. Aus dieser Annahme heraus kann man nun Modelle entwickeln, die versuchen, menschliches Verhalten vorauszusagen, denn wenn jeder Akteur in einer Situation stets jene Entscheidung trifft, die mit dem größten Profit verbunden ist, werden Entscheidungen vorhersehbar. Genau wie die Natur Gesetzen unterliegt, ist also auch soziales Verhalten durch Gesetze bestimmt. Die Ideologie des Kapitalismus sieht den Menschen als Zahnrad einer Maschine – unser Verhalten ist im Grunde nicht anders als das eines Computers, bestimmt durch den Algorythmus des Eigennutzes.

Jesus als Sozialist?
Bei Lesen denkt man jetzt vielleicht, dass diese ultra-materialistische Weltsicht nicht allzuweit von der Realität entfernt ist, doch sie sie entmündigt den Menschen davon seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Der freie Wille ist bloß Illusion, und wir tragen keinerlei Verantwortungen für unsere Handlungen. Der Kapitalismus ist die ultimative Rechtfertigung für Habgier, Egoismus und Stolz, welche Christen als die schlimmsten aller Laster ansehen.

Christen haben schon immer intensiv über die Frage der Vorherbestimmung diskutiert und Paulus Brief an die Epheser deutet tatsächlich darauf hin, dass die individuelle Erlösung durch Gott verherbestimmt wurde (Epheser 1, 5). Warum jedoch sollte Gott Propheten an die Israeliten senden um sie zu warnen, wenn sie nicht frei darüber entscheiden könnten ihren Lebensstil zu verändern? Warum fordert Jesus von uns an ihn zu glauben, wenn wir letztlich keine Wahl hätten? Es scheint mir eher so, als wäre der freie Wille die Quintessenz der christlichen Weltanschauung.

Eine Maschinenwelt in der alles vorherbestimmt wird ist christlicher Theologie absolut fremd, denn sie würde Gott als ungerecht entblößen, da er genau wusste, dass er die Welt mit seiner Schöpfung ins Unheil stürzen würde. Ich kann nur an einen gerechten Gott glauben, wenn er uns den freien Willen lässt. Das Christentum widerspricht deshalb philosophisch betrachtet dem Kapitalismus, und erlaubt es der Menschheit, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.


Der Sozialismus und das Christentum

Eines meiner Lieblingsbücher in der Bibel ist die Apostelgeschichte, in der Lukas die fast utopische Gemeinschaft der frühen Christen beschreibt. Privatbesitz scheint es dort nicht zu geben, und alles gehört der Gemeinschaft:

„Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 2, 44-45)*

„Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. [...] Er war auch keinen unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 4, 32-35)

Auch andere Stellen im Neuen Testament ermahnen Reiche soziale Verantwortung zu haben:

„Nicht, dass die andern gute Tage haben sollen und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme. Jetzt helfe euer Überfluss ihrem Mangel ab, damit danach auch ihr Überfluss eurem Mangel abhelfe und so ein Ausgleich geschehe, wie geschrieben steht: ‚Wer viel sammelte, hatte keinen Überfluss, und wer wenig sammelte, hatte keinen Mangel.‘“ (2. Korinther 1, 13-15)

Vielleicht bin ich altmodisch, aber meine Definition des Sozialimus sieht den biblischen Schilderungen der urchristlichen Gemeinde sehr ähnlich. Materieller Erfolg ist im Kapitalismus von einer ganzen Reihe Faktoren abhängig. In unserer Gesellschaft zum Beispiel, vervielfacht sowohl das Geschlecht als auch der Bildungsstand der Familie die finanziellen Erfolgschancen.

Ohne das Auffangnetz, das der Staat zur Verfügung stellt, würde wohl so manches Unternehmen nicht gegründet werden. Das Staat sorgt nicht nur für soziale und materielle Sicherheit, sondern unter anderem auch für ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem. Materieller Reichtum wird somit durch den Staat ermöglicht, was widerum höhere Steuern für die, die es sich leisten können, rechtfertigt. Die Bibel bestätigt sozialistische Moralverstellungen mit den obengenannten Versen, und auch mit einem ihrer wichtigsten Grundprinzipien: „Richtet nicht, so werdert ihr auch nicht gerichtet“ (Lukas 6, 37).

Für mich als Sozialist sollte es das oberste Ziel der Menschheit sein, für die Emanzipation jedes Einzelnen von allen Formen der Unterdrückung zu kämpfen. Die Menschheit muss sich von der vom Kapitalismus verordneten Vorherbestimmungsideologie befreien. Jeder sollte die Möglichkeit haben ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und seine Talente zu nutzen.

Selbst in der EU, in der es weltweit die gerechteste Einkommensverteilung gibt, ist dies nicht der Fall, und die soziale Mobilität bleibt eingeschränkt. Weiterhin haben drei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ich bin überzeugt, dass man eine zentrale Institution (den Staat) damit beauftragen muss, Ressourcen gerecht zu verteilen, um die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben zu gewährleisten. Damit meine ich nicht eine undemokratische Diktatur in sowjetischer Tradition, sondern einen Sozialstaat, in dem die wichtigsten Dienstleistungen in öffentlicher Hand liegen (z.B. Energie, Wasser, Banken, Verkehrsinfrastruktur, ÖPNV), und in dem größere Firmen als Kooperativen organisiert sich (nach dem Vorbild Mondragón). Ich glaube, dass die Umsetzung dieser Ziele die mittelfristig wichtigste Aufgabe sozialistischer Parteien in Europa sein sollte. Diese Ziele sind erreichbar, und entsprechen biblischen Grundsätzen. Die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft kann mit der Rechtleitung Jesu in Übereinkunft stehen.


Alte Vorurteile abbauen

Das Christentum und der Sozialismus sind zwei Weltanschauungen, die sich politisch sehr nahe stehen, und trotzdem haben viele Sozialisten historisch für das Christentum nicht viel übrig gehabt, und umgekehrt. Ich kann es oft kaum glauben, dass Marx die Natur des Christentums zu radikal missverstanden hat, und sie mit der der katholischen Kirche verwechselt hat. Trotzdem war die Emanzipation von den Fesseln der Kirche in der Tat eine der großen Aufgaben früher Sozialisten. Heutige Sozialisten sollten sich davor hüten, die Botschaft Jesu mit der Botschaft der Kirche gleich zu stellen.

Christen widerum, müssen ihre politische Apathie überwinden. Wohltätigkeit ist gut, wird aber die strukturellen Wurzeln von Armut und Ungerechtigkeit nicht beseitigen können. Nur durch politisches Handeln kann Armut wirklich bekämpft werden. Es ist erschreckend, dass christliches politisches Engagement meißt nur in Protesten gegen Homoehe, Stammzellenforschung oder Abtreibungsgesetzte zu sehen ist. Jesus wichtigstes Gebot ist es, unseren Nächsten so zu lieben wie uns selbst – wie können wir diesem Gebot folgen, ohne die Struktur unserer Gesellschaft zu verändern?

„Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3, 17)

Ich setze meine Hoffnung auf politisches Handeln, das nach innen hin von der Rechtleitung des heiligen Geistes profitiert, und auf ein Christentum, das nach außen hin von den politischen Prinzipien des Sozialismus bereichert wird. Der Antagonismus der Christen und Sozialisten so lange getrennt hat, muss überwunden werden.

Harald Köpping



*Alle Bibelzitate sind entnommen aus der 1984er Lutherübersetzung

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