Ich bin Christ, und ich bin
Sozialist.
Wenn man diese zwei Aussage im
gleichen Satz liest, ist man zunächst vielleicht verwundert – war es nicht
Marx, der die Religion ‚Opium für’s Volk‘ genannt hat? Steht das ‚C‘ in ‚CDU‘
nicht für ‚christlich‘, und wählen die meißten Christen nicht eher konservativ?
Das stimmt vielleicht alles, aber trotzdem glaube ich, dass sich Christentum
und Sozialismus nicht gegenseitig ausschließen. Ich bin überzeugt, dass eine
Koalition aus Christentum und Sozialismus nicht nur möglich, sondern notwendig
ist. Ich möchte diesen Standpunkt nun zunächst aus einer philosophischen, und
danach aus einer ethischer Sichtweise belegen.
Der
Kapitalismus und die Anbetung der Habgier
Der Kapitalismus ist viel mehr
als nur ein Weg die politische Ökonomie zu organisieren – er ist eine
Ideologie. Die Ideologie des Kapitalismus nimmt an, dass die soziale Welt vom
Eigennutz angetrieben wird, und dass der Dynamik des Marktes die Habgier und
der Egoismus des Menschen unterliegt. Jede Entscheidung beruht letztendlich auf
Eigennutz, und ein jeder versucht so viel Profit wie möglich für sich selbst
herauszuschlagen. Aus dieser Annahme heraus kann man nun Modelle entwickeln,
die versuchen, menschliches Verhalten vorauszusagen, denn wenn jeder Akteur in
einer Situation stets jene Entscheidung trifft, die mit dem größten Profit
verbunden ist, werden Entscheidungen vorhersehbar. Genau wie die Natur Gesetzen
unterliegt, ist also auch soziales Verhalten durch Gesetze bestimmt. Die Ideologie
des Kapitalismus sieht den Menschen als Zahnrad einer Maschine – unser
Verhalten ist im Grunde nicht anders als das eines Computers, bestimmt durch
den Algorythmus des Eigennutzes.
Jesus als Sozialist? |
Bei Lesen denkt man jetzt
vielleicht, dass diese ultra-materialistische Weltsicht nicht allzuweit von der
Realität entfernt ist, doch sie sie entmündigt den Menschen davon seine eigenen
Entscheidungen zu treffen. Der freie Wille ist bloß Illusion, und wir tragen
keinerlei Verantwortungen für unsere Handlungen. Der Kapitalismus ist die
ultimative Rechtfertigung für Habgier, Egoismus und Stolz, welche Christen als
die schlimmsten aller Laster ansehen.
Christen haben schon immer
intensiv über die Frage der Vorherbestimmung diskutiert und Paulus Brief an die
Epheser deutet tatsächlich darauf hin, dass die individuelle Erlösung durch
Gott verherbestimmt wurde (Epheser 1, 5). Warum jedoch sollte Gott Propheten an
die Israeliten senden um sie zu warnen, wenn sie nicht frei darüber entscheiden
könnten ihren Lebensstil zu verändern? Warum fordert Jesus von uns an ihn zu
glauben, wenn wir letztlich keine Wahl hätten? Es scheint mir eher so, als wäre
der freie Wille die Quintessenz der christlichen Weltanschauung.
Eine Maschinenwelt in der alles
vorherbestimmt wird ist christlicher Theologie absolut fremd, denn sie würde
Gott als ungerecht entblößen, da er genau wusste, dass er die Welt mit seiner
Schöpfung ins Unheil stürzen würde. Ich kann nur an einen gerechten Gott
glauben, wenn er uns den freien Willen lässt. Das Christentum widerspricht
deshalb philosophisch betrachtet dem Kapitalismus, und erlaubt es der
Menschheit, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.
Der
Sozialismus und das Christentum
Eines meiner Lieblingsbücher in
der Bibel ist die Apostelgeschichte, in der Lukas die fast utopische Gemeinschaft
der frühen Christen beschreibt. Privatbesitz scheint es dort nicht zu geben,
und alles gehört der Gemeinschaft:
„Alle aber, die gläubig
geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie
verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer
nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 2, 44-45)*
„Die Menge der Gläubigen
aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern,
dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. [...] Er war auch
keinen unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser
besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den
Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.“
(Apostelgeschichte 4, 32-35)
Auch andere Stellen im Neuen
Testament ermahnen Reiche soziale Verantwortung zu haben:
„Nicht, dass die andern
gute Tage haben sollen und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich
komme. Jetzt helfe euer Überfluss ihrem Mangel ab, damit danach auch ihr
Überfluss eurem Mangel abhelfe und so ein Ausgleich geschehe, wie geschrieben
steht: ‚Wer viel sammelte, hatte keinen Überfluss, und wer wenig sammelte,
hatte keinen Mangel.‘“ (2. Korinther 1, 13-15)
Vielleicht bin ich altmodisch,
aber meine Definition des Sozialimus sieht den biblischen Schilderungen der
urchristlichen Gemeinde sehr ähnlich. Materieller Erfolg ist im Kapitalismus
von einer ganzen Reihe Faktoren abhängig. In unserer Gesellschaft zum Beispiel,
vervielfacht sowohl das Geschlecht als auch der Bildungsstand der Familie die
finanziellen Erfolgschancen.
Ohne das Auffangnetz, das der
Staat zur Verfügung stellt, würde wohl so manches Unternehmen nicht gegründet
werden. Das Staat sorgt nicht nur für soziale und materielle Sicherheit, sondern
unter anderem auch für ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem.
Materieller Reichtum wird somit durch den Staat ermöglicht, was widerum höhere
Steuern für die, die es sich leisten können, rechtfertigt. Die Bibel bestätigt
sozialistische Moralverstellungen mit den obengenannten Versen, und auch mit
einem ihrer wichtigsten Grundprinzipien: „Richtet nicht, so werdert ihr auch
nicht gerichtet“ (Lukas 6, 37).
Für mich als Sozialist sollte es
das oberste Ziel der Menschheit sein, für die Emanzipation jedes Einzelnen von
allen Formen der Unterdrückung zu kämpfen. Die Menschheit muss sich von der vom
Kapitalismus verordneten Vorherbestimmungsideologie befreien. Jeder sollte die
Möglichkeit haben ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und seine Talente zu
nutzen.
Selbst in der EU, in der es
weltweit die gerechteste Einkommensverteilung gibt, ist dies nicht der Fall,
und die soziale Mobilität bleibt eingeschränkt. Weiterhin haben drei Milliarden
Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ich bin überzeugt, dass man
eine zentrale Institution (den Staat) damit beauftragen muss, Ressourcen
gerecht zu verteilen, um die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben zu
gewährleisten. Damit meine ich nicht eine undemokratische Diktatur in
sowjetischer Tradition, sondern einen Sozialstaat, in dem die wichtigsten
Dienstleistungen in öffentlicher Hand liegen (z.B. Energie, Wasser, Banken,
Verkehrsinfrastruktur, ÖPNV), und in dem größere Firmen als Kooperativen
organisiert sich (nach dem Vorbild Mondragón). Ich glaube, dass die Umsetzung
dieser Ziele die mittelfristig wichtigste Aufgabe sozialistischer Parteien in
Europa sein sollte. Diese Ziele sind erreichbar, und entsprechen biblischen
Grundsätzen. Die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft kann mit der
Rechtleitung Jesu in Übereinkunft stehen.
Alte
Vorurteile abbauen
Das Christentum und der
Sozialismus sind zwei Weltanschauungen, die sich politisch sehr nahe stehen,
und trotzdem haben viele Sozialisten historisch für das Christentum nicht viel
übrig gehabt, und umgekehrt. Ich kann es oft kaum glauben, dass Marx die Natur
des Christentums zu radikal missverstanden hat, und sie mit der der
katholischen Kirche verwechselt hat. Trotzdem war die Emanzipation von den
Fesseln der Kirche in der Tat eine der großen Aufgaben früher Sozialisten.
Heutige Sozialisten sollten sich davor hüten, die Botschaft Jesu mit der
Botschaft der Kirche gleich zu stellen.
Christen widerum, müssen ihre
politische Apathie überwinden. Wohltätigkeit ist gut, wird aber die strukturellen
Wurzeln von Armut und Ungerechtigkeit nicht beseitigen können. Nur durch
politisches Handeln kann Armut wirklich bekämpft werden. Es ist erschreckend,
dass christliches politisches Engagement meißt nur in Protesten gegen Homoehe,
Stammzellenforschung oder Abtreibungsgesetzte zu sehen ist. Jesus wichtigstes
Gebot ist es, unseren Nächsten so zu lieben wie uns selbst – wie können wir
diesem Gebot folgen, ohne die Struktur unserer Gesellschaft zu verändern?
„Wenn aber jemand dieser
Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm
zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3, 17)
Ich setze meine Hoffnung auf
politisches Handeln, das nach innen hin von der Rechtleitung des heiligen
Geistes profitiert, und auf ein Christentum, das nach außen hin von den
politischen Prinzipien des Sozialismus bereichert wird. Der Antagonismus der
Christen und Sozialisten so lange getrennt hat, muss überwunden werden.
Harald Köpping
*Alle Bibelzitate sind entnommen
aus der 1984er Lutherübersetzung
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