Wenn man
durch die Nachrichtensender schaltet, und Europas große Tageszeitungen liest,
muss man manchmal darüber schmunzeln, dass die europäische Integration im
Moment eigentlich nur durch den irrationalen Glauben an den Wert des Kapitals
ins Stocken geriet. Die unfassbar großen Zahlen, mit denen man täglich
konfrontiert wird, bedeuten für uns reichlich wenig, und oft existieren diese
Geldmengen in der realen Welt ohnehin nicht. ‚Finanzprodukte‘ haben nur Wert,
weil wir ihnen Wert gegeben haben – im Grunde sind sie nutzlos, und würde uns
kaum schlechter gehen wenn wir uns entscheiden würden, sie einfach
abzuschaffen.
Wir sollten
uns nicht von Schulden, Geld und Finanzprodukten von den real existierenden
Problemen ablenken lassen, mit denen Europa sich weiterhin quält, und es ist
meine Überzeugung, dass das wichtigste dieser Probleme die furchtbare Situation
der Flüchtlinge ist, die sich unfreiwillig an den Außengrenzen der Europäischen
Union angesammelt haben. Jedes Jahr sterben Tausende bei dem Versuch das
europäische Festland zu erreichen; Menschen die einst voller Hoffung auf ein
besseres Leben in Europa waren. Hunderte sogenannter ‚illegaler Einwanderer‘
überqueren jeden Tag die türkisch-griechische Grenze der EU, also über 100.000
jedes Jahr. Diese Zahlen allerdings bedeuten wenig, wenn man nicht versteht,
dass hinter jeder Einzelnen ein Mensch steht, der sich entschlossen hat zu
Hause alles aufzugeben, allen Besitz zu verkaufen, alles Geld in die Hände von
Schmugglern zu geben, und Jahre auf der Reise ins gelobte Land Europa zu
verbringen. Wenn man Europa von Somalia aus erreicht, liegen hinter einem nicht
nur tausende Kilometer Wüste, sondern auch Todesängste vor dem Verdursten in
der Wüste, oder dem Ertrinken im Meer, das mit einem kleinen, überfüllten
Fischerboot überquert wurde. Wenn man aus Afghanistan kommt, und Europa über
die Türkei erreicht, erwartet einen in Griechenland die sichere
Obdachlosigkeit, und die Unmöglichkeit einen erfolreichen Asylantrag zu stellen.
Zahllose Tote
und zehntausende zerstörte Hoffnungen auf ein neues Leben sind der Preis, den
Europa gewillt ist zu zahlen, um Flüchtlinge daran zu hindern Europa jemals zu
erreichen. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die die meißten Länder in den 50er
Jahren unterzeichnet haben, sichert jedem das Recht auf politisches Asyl, der
in seinem Heimatland aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wird.
Soweit so gut, nur baut Europa immer höhere Mauern, die Flüchtlinge daran
hindern sollen, den Kontinent überhaupt erst zu erreichen. Die spanischen
Exklaven Ceuta and Melilla (beide sind von marokkanischem Staatsgebiet
umgeben), sind mit drei Meter hohen Mauern und Stacheldrahtzäunen befestigt. Im
Moment werden Pläne umgesetzt, die mit der griechisch-türkischen Grenze
Ähnliches vorhaben. Jeder weiß, dass dies unweigerlich zu noch mehr Toten
führen wird, doch anscheinend verleugnen Europas Staatschefs in schon fast
psychopatisch anmutender Manier jegliches Moralbewusstsein. Die EM in der
Ukraine wird boykottiert, während an den EU-Grenzen Menschenrechte mit Füßen
getreten werden. Die hundert Mauertoten werden mit Staatsakt geehrt, während
jedes Jahr Tausende im Mittelmeer ertrinken. Die ‚weiche Macht‘ Europa hat
inzwischen jegliche Glaubwürdigkeit verloren, da auch bei ihr den
Menschenrechten keinerlei Beachtung geschenkt wird.
Was Europa
braucht ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel was seine eigenen
Vorstellungen von Migration anbelangt. Grenzen wurden zufällig gezogen um
Landbesitz zu kennzeichnen – Land, in diesem wir dann als Nation kollektiv über
Soveränität verfügen. Danach sagen wir allen die aus armen Ländern kommen, sich
doch von diesem Land fernzuhalten. Wenn man aus einem reichen Land kommt, ist
die Einreise natürlich kein Problem. Ist diese Absurdität und Ungerechtigkeit
nicht offensichtlich? Wenn selbst Schüler, die Orwells Farm der Tiere lesen,
verstehen können, dass der Slogan ‚alle Tiere sind gleich, aber manche sind
gleicher‘ vollkommen irrwitzig ist, warum geht dann kein Aufschrei durch Europa
gegen eine Ungerechtigkeit, die vor unserer Türschwelle passiert? Ich bin mir
bewusst, dass ein Ruf nach offenen Grenzen auf wenig Zuspruch stoßen wird – die
Menschen sind zu sehr an konstruierte Ideen wie Nationalstaaten gewöhnt. Länder
und Grenzen sind von Menschen geschaffen, und der Glaube an sie ist das
Einzige, was sie aufrecht erhält. Die Erde gehört uns allen, und es
widerspricht sowohl dem Gewissen als auch dem gesunden Menschenverstand zu
sagen, dass Manche einfach nicht qualifiziert sind, bestimmte Gebiete zu
betreten.
Meine Vision
eines europäischen Asylsystems das gerecht und praktizierbar ist, werde ich im
nächsten Post erläutern.
Harald Köpping
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