Wednesday, 11 July 2012

Vision eines gerechteren Asylsystems für Europa


Heute früh fand man unweit der italienischen Küste ein kleines Gummiboot mit einem einzigen verzweifelten Eriteer an Bord. Ursprünglich trug das Boot 55 Menschen, doch 54 überlebten die zweiwöchige Reise übers Mittelmeer nicht.

In meiner Heimatstadt Leipzig wurde  in den letzten Wochen heftigst über die Umsiedlung von 300 Asylbewerbern diskutiert – die Anwohner des neuen Standortes würden sich durch die Präsenz der Asylsuchenden in ihrer Lebensqualität eingeschränkt fühlen. Hier hat jemand nicht verstanden, dass es sich bei Flüchtlingen nicht um ‚Sozialschmarotzer‘ handelt, sondern um Menschen in Not, die keinen Anderen Ausweg gesehen haben als ihr Land zu verlassen. Ganz nebenbei hat jeder Mensch laut Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht auf Asyl, und ironischerweise sind diejenigen, die sich über Asylbewerber beschweren, oft die Gleichen, die dann sagen, dass andere Religionen die Menschenrechte missachten.

Ein faires Asylsystem löst zwar das Problem der flächendeckenden Stigmatisierung von Asylbewerbern vorerst nicht, aber es trüge dazu bei, Flüchtlingen ein würdevolles Leben in Europa zu ermöglichen. Leider ist es im Moment unrealistisch über eine allgemeine Öffnung der Grenzen zu diskutieren, was meiner Meinung nach die Ideallösung wäre. Weiterhin würde ich für die Abschaffung der Staatbürgerschaft plädieren, aber auch das ist wahrscheinlich nicht umsetzbar. Deswegen habe ich fünf Vorschläge*: die Einführung eines europäischen Lastenverteilungssystems; die Gründung einer europäischen Asylbehörde; Sanktionen bei Nichteinhaltung von Mindeststandards in Asylbewerberheimen; die Erteilung einer Arbeitserlaubnis und ein generelles Verbot Flüchlinge nach ihrer Ankunft in Europa zu inhaftieren.

Ein Grundproblem im europäischen Asylsystem ist die sogenannte Dublin-II-Verordnung, welche besagt, dass jener Mitgliedsstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling zuerst EU-Territorium betritt. Dies führt zu einer unproportionalen Verteilung von Asylbewerbern entlang der EU-Außengrenzen. Diese Verordnung sollte durch eine Bessere ersetzt werden, die Asylbewerber nach eine Reihe von Kriterien unter den Mitgliedsstaaten verteilt. Das dies funktionieren kann, zeigt der deutsche Fall, wo so ein System bereits seit Jahren zwischen den Bundesländern besteht. Unter diesen Kriterien sollten sein das Bruttosozialprodukt pro Einwohner, die Kapazität Asylbewerber unterzubringen und die gegenwärtige wirtschaftliche Situation (z.B. gemessen am BSP-Wachstum). Dies würde Länder wie Malta, Zypern oder Griechenland ungemein entlasten, und sollte Europa bei 300.000 jährlichen Asylerstanträgen vor keine großen Herausforderungen stellen (es handelt sich um 0.06% der EU-Bevölkerung). Die Wünsche der Asylbewerber sollten hierbei soweit wie möglich in Betracht gezogen werden, die viele in einigen Mitgliedsstaaten bereits Familie oder kulturelle Bindungen haben.

Ein weiteres Problem mit dem Europa im Moment kämpf, sind die unterschiedlichen Erfolgsquoten in den 27 Mitgliedsstaaten. Während es in Griechenland unmöglich ist, erfolgreich einen Asylantrag zu stellen, gibt es etwa in Schweden eine Erfolgsquote von circa 30%. Offensichtlich arbeiten die Einwanderungsbehörden der Mitgliedstaaten grundlegend verschieden, weshalb man deren Arbeit zentralisieren sollte. Ein europäische Asylbehörde könnte sich um jeden Asylantrag kümmern, und dadurch gleiche Chancen für alle garantieren, unabhängig von den gegenwärtigen politischen Gegebenheiten. Diese Behörde könnte gleichzeitig den Lastenverteilungsmechanismus verwalten.

Die Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen in den 27 Mitgliedsstaaten reichen von akzeptabel bis katastrophal. Bei Ankunft in Griechenland erwartet einen die sichere Obdachlosigkeit, während Schweden oder auch Deutschland die Unterbringung in einigermaßen vernünftigen Lagern ermöglicht. Nach kurzer Zeit erfolgt zum Beispiel in Deutschland selbst bei laufendem Asylverfahren die Übersiedlung in eine der Familiengröße entsprechende Wohnung. Es müssen diesbezüglich europaweit Mindeststandards gesetzt werden. Damit dies umgesetzt werden kann, sollte ein Asylfond eingerichtet werden, der Projekte in Mitgliedsstaaten subventioniert, die einer besseren Lebensqualität von Asylbewerbern dienlich sind. Wird dennoch gegen die gesetzten Mindeststandard verstoßen, sollten scharfe Sanktionen folgen (nicht wie bei den Strafverfahren gegen Belgien und Griechenland, die dann ein paar tausend Euro bezahlt haben).

Schwarzarbeit ist bei Asylbewerbern in Europa oft der einzige Weg um sich das Leben zu finanzieren. Dies wird von den Mitgliedsstaaten toleriert, und teilweise noch gefördert, da die legale Arbeit zum Beispiel in Deutschland nur möglich ist, nachdem einem Asylantrag zugestimmt wurde, was oft viele Jahre dauert. Die legale Arbeit muss sofort nach dem Einreichen des Asylantrages möglich sein, um dem Abfall in die Kriminalität vorzubeugen, und im Flüchtlingen eine akzeptable Lebensqualität zu ermöglichen.

Zu guter letzt muss ein generelles Verbot einführt werden, Asylbewerber nach ihrer Ankunft festzunehmen. Es ist absurd einen Menschen wegen der Einreise in die EU für anderthalb Jahre wegzusperren.

Ich denke dass die Umsetzung dieser Vorschläge die Situation von Flüchtlingen in Europa erheblich verbessern würde. Natürlich wird dadurch weder die Situation in den Herkunftsländern verbessert, es fallen dadurch keine Mauern, und es wird nicht leichter Europa zu erreichen. Ich wünschte es wäre möglich, dass Frontex Flüchtlingen dabei helfen würde nach Europa zu kommen, anstatt sie daran zu hindern; dass Europas Regierungen plötzlich moralbewusst würden, anstatt Menschenrechte mit Füßen zu treten; und dass wir endlich verstehen, dass unser demographisches Problem im Moment anscheinend nur durch mehr Einwanderung zu lösen ist. Bis dahin kann aber trotzdem Einiges getan werden, und ich denke die oben genannten Vorschläge wären ein guter Anfang.

Harald Köpping


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* Die Vorschläge sind inspiriert von einem Treffen des stipendiatischen Arbeitskreises der Friedrich-Ebert-Stiftung „Europaforum“.

3 comments:

  1. EU Ombudsmann startet öffentliche Konsultation über Frontex und Grundrechte

    Die EU-Grundrechtecharta wurde 2009 rechtlich bindend für Frontex, die ihren Sitz in Warschau hat. Seitdem haben verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen Zweifel daran geäußert, ob die Agentur genug unternimmt, die Charta einzuhalten. So wurde zum Beispiel der Einsatz von Grenzschutz-Teams durch Frontex in Griechenland in Frage gestellt, wo inhaftierte Immigranten in Haftanstalten unter Bedingungen untergebracht wurden, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert wurden.

    Alle Dokumente zur öffentlichen Konsultation finden Sie unter: http://www.ombudsman.europa.eu/de/cases/correspondence.faces/de/11757/html.bookmark

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  2. Danke für deinen Kommentar Anne! Frontex sollte eigentlich Thema eines Posts für sich sein, vielleicht willst du ja was schreiben? Schon allein rechtlich steht Frontex ja eher auf wackligen Füßen...

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  3. Wir wollten auf diesem Wege auf die wichtige öffentliche Konsultation des EU-Ombudsmannes aufmerksam machen, weil es zum Themenfeld passt, und hoffen auf rege Beteiligung.

    Anne

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